Donnerstag, 18. Juni 2009

Was brauchen Kinder, was wünschen Eltern?

Der Österreichische Familienbund hat am 25. Mai zur Enquete „Was brauchen Kinder, was wünschen Eltern?“ geladen. Mehr als 100 Teilnehmerinnen lauschten einen ganzen Tag lang den Ausführungen der Expertinnen aus dem In- und Ausland. Den Beginn machte die Präsentation der Studien des Instituts für Familienforschung „Kindgerechte außerfamiliale Kinderbetreuung für unter Dreijährige“. Die Studienleiterin Dr. Sabine Buchebner –Ferstl wies in ihrem Referat daraufhin, dass die Frage ob ein Kind unter drei Jahren außerfamilial betreut werden soll oder nicht, noch immer sehr kontrovers diskutiert wird. Zahlreiche Studien belegen, so Buchebner-Ferstl, dass prinzipielle Aussagen über Schaden und Nutzen von Fremdbetreuung nicht möglich sind, sondern, dass eine Reihe von Faktoren eine Rolle spielen.

Eckpfeiler einer kindgerechten Betreuung

Die Studienautorin macht drei Eckpfeiler einer kindgerechten außerfamilialen Betreuung aus:
1.Beziehung ist wichtiger als Pädagogik
Gerade für sehr kleine Kinder ist emotionale Zuwendung wichtiger als Pädagogik („Beziehung statt Erziehung“), das heißt, dass Erzieherinnen in erster Linie Bezugspersonen sein müssen. Das heißt aber auch, dass Erzieherinnen die Zeit haben müssen besonders in der Eingewöhnungsphase für das Kind das zu sein ohne, dass die anderen Kinder Schaden davon tragen. Dieses Wissen sollte eigentlich bedingen, dass die Gruppengröße für unter Dreijährige einen Betreuungschlüssel von 1:4 ( also eine Betreuerin für vier Kinder) nicht überschreiten darf.
2.Kontinuität und Vorhersagbarkeit
Kinder brauchen gerade in der Kleinkindphase Kontinuität und Rituale um ein Sicherheitsgefühl zu entwickeln, daher ist die maximale Betreuungsflexibilität für das Kind häufig nichts anderes als ständig wechselnde Gesichter in der Gruppe und ein stets Kommen und Gehen, das für das Kind nicht nachvollziehbar ist –ein Umfeld, das die Etablierung von Freundschaften und eines Wir-Gefühles nicht möglich macht. In einem Alter, wo der kognitive Zeithorizont noch sehr beschränkt ist, stellt das Erkennen eines immer wiederkehrenden zeitlichen Musters einen Anker dar, der Halt und Orientierung zu bieten vermag.
3.Förderliches Umfeld
Mit dem Vorhandensein stabiler Beziehungen und für das Kind nachvollziehbaren Vorhersagbarkeit von Abläufen und Situationen sind die wesentlichen Voraussetzungen für ein Sicherheitsgefühl des Kindes gegeben. Wesentlich dabei ist auch ein förderliches Umfeld, das sich vor allem in der räumlichen Gestaltung zeigt. Viel Freiraum im Haus und im Freien einerseits und ein pädagogisches Konzept andererseits, das es dem Kind ermöglicht, seine emotionellen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten zu entwickeln.

Doz. Haug-Schnabel: Ab zwei Jahre halbtags im Kindergarten ist vertretbar

In die gleiche Richtung wie die Studienleiterin Buchebner-Ferstel wies auch die Entwicklungsbiologin Doz. Gabriele Haug-Schnabel, die sich schon in zahlreichen Publikationen mit der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kleinstkindern beschäftigt hat. Für Haug –Schnabel ist es vertretbar Kinder mit zwei Jahren in einen Kindergarten halbtags zu geben. Sie stellt aber ein klares Konzept vor ohne das eine reibungslose Eingewöhnung des Kindes nicht möglich ist. Für sie steht es außer Streit, dass jedes Kind elternbegleitet und bezugspersonenorientiert eingewöhnt werden muss. Eine Eingewöhnungsphase kann bis zu einem halben Jahr dauern. Wenn aber die Eltern nicht davon überzeugt sind ihr Kleinkind „fremd betreuen“ zu lassen, so spürt das das Kind sofort und wird auch die Betreuungsmöglichkeit ablehnen, so die Dozentin. In diesem Fall sage sie bei einem „Buchungsgespräche zu den Eltern : „Warten Sie, bis sie selbst davon überzeugt sind, ihr Kind außer Haus zu geben.“ Haug-Schnabel ist auch davon überzeugt, dass das Kind emotionale Zuwendung, geteilte Aufmerksamkeit und hohe Antwortbereitschaft braucht. Wichtig auch eine Respektierung der kindlichen Zeitvorstellungen. „Manche Kinder brauchen eben länger um sich einzugewöhnen- „Geben sie dem Kind die Zeit, die es braucht, nur dann wir es auch gerne in die Kinderbetreuungseinrichtung gehen.“

Frankreich: Das andere Denken

Die zehnfache Mutter und ehemalige Directrice einer ecole maternelle, Martine Liminski sieht Frankreich schon als Vorbild in der Familienpolitik, vor allem was die Einstellung zum Kind im generellen anbelangt. „Das Denken in Familie, in der individuellen Beziehung und Bindung zwischen Mutter und Kind hat Tradition und ist in Frankreich etwas ganz natürliches. Es ist noch selbstverständlich Kinder zu haben. Man geht viel unbefangener damit um, fragt nicht ob überhaupt, sonder wie man es bewerkstelligen kann, eine Familie zu managen und gleichzeitig außer Haus arbeiten zu müssen. Man kennt die Verteufelung des Herdes nicht und ebenso wenig den Begriff Rabenmutter. Wie Liminiski betonte werden nach Angaben der OECD nur 11% der Unter Dreijährigen in Frankreich in staatlichen Creches (Krippen) betreut. Der überwiegend Teil der Kinder wird von der eigenen Mutter oder einer Tagesmutter betreut. Ist eine Mutter außer Haus berufstätig dann meist in Teilzeit.

Anderer Lebensrhythmus

Wie Martine Liminski auch betonte, unterscheide sich der Lebensrhythmus der Franzosen markant von dem der Österreicher und der Deutschen. So gibt es zum Beispiel sowohl in der Kinderbetreuung als auch in den Betrieben eine zweistündige Mittagspause in der gemeinsam zu Hause gegessen wird. Auch wenn das mit zugebenermaßen viel Stress verbunden ist, so Liminski, schenken die Eltern das was sich Kinder nachweislich am meisten von ihren Eltern wünschen: Zeit. Schließlich sprach Liminski noch ein Lob den ecoles maternelles aus: Rund 30% der zweijährigen besuchen diese Betreuungsform, die keine Kindergärten im engeren Sinn sind, sondern Vorschulen, deren Programme seit mehr als einem halben Jahrhundert überdacht und erneuert werden, je nach dem Stand der Pädagogik und der Entwicklungspsychologie. Abschließend plädierte die zehnfache Mutter bei der gesamten Diskussion um die Kinderbetreuung nicht die drei „Z“ von Pestalozzi zu vergessen: Kinder brauchen Zuwendung, Zärtlichkeit und Zeit.

Vorarlberger Projekt „Kinder in der Mitte“

Die Vorarlberger Familienlandesrätin Dr. Greti Schmid berichtete von dem Vorarlberger Vorzeigeprojekt: Kinder in der Mitte“. Vorarlberg hat sich vorgenommen das kinderfreundlichste Land zu werden. Dafür soll Kinder- und Familienfreundlichkeit als Querschnittsmaterie in fünf Handlungsfelder zum Tragen kommen. Familie im engeren Sinn mit verstärkter Elternbildung, einem Ausbau des Familienpasses, Kochkursen und vieles mehr. Weiters plant Vorarlberg Kinderbetreuungseinrichtungen zu Familientreffs auszubauen. Das nachmittägliche Betreuungsangebot nach dem Bedarf der Eltern soll ebenso erweitert werden. Bei der Diskussion bekannte sich die Landesrätin dazu vor allem für die Kleinkindbetreuung mehr Geld „in die Hand nehmen zu wollen“, da dies die wichtigste und sensibleste Phase sei, in der Gruppengröße und Qualität von entscheidender Bedeutung sei.

Entwicklung vom Ausmaß der liebevollen Betreuung im Kleinkindalter abhängig

Die Ärztin und Entwicklungspsychologin Dr. Martina Leibovici-Mühlberger, selbst vierfache Mutter wies in ihrem Beitrag auf die Wichtigkeit des Ausmaßes einer erlebten liebevollen Betreuung in der frühen Kindheit hin. Das heißt so Leibovici-Mühlberger, Säuglinge und Kleinstkinder brauchen ein „kontinuierliches Angebot von koregulierten, reziproken, affektiven Interaktionen mit engen Bezugspersonen“. Das heißt auf gut Deutsch: Säuglinge wollen beachtet und liebgehabt werden und zwar vor allem von einer Bezugsperson, die sie im Blickfeld haben.Ein besonderes Anliegen ist Leibovici-Mühlberger auch die Qualitätssicherung in der Ausbildung. Innerhalb der EU-Staaten besteht eindeutig eine Tendenz zu universitären Ausbildung. Zur Zeit zeige sich aber noch in der EU für die Arbeit mit unter Dreijährigen ein buntes Qualifikationsbild. Während die nordischen und baltischen EU Länder und auch Slowenien eine altersübergreifende Hochschulausbildung für die Arbeit mit Kindern von Null bis sechs Jahren eingeführt haben, gilt das für die Mehrheit der EU-Länder nicht.

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